Heute geht es in die Tiefen des JTM45 Power Scaling.
Es ziemlich detailliert und teilweise auch etwas technisch zugehen.
Sagt nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!
Was ist JTM45 Power Scaling überhaupt und was soll das Ganze ?
Power Scaling ist die Jagt nach einem Traum. Der Traum aller E-Gitarristen seit es Röhren-Verstärker gibt.
Dieser Traum besteht darin, daß der Gitarrist seinen Lieblings-Röhrenverstärker überall verwenden kann. Überall.
Sein Verstärker soll in jedem Raum, bei jeder Lautstärke GEIL klingen.
Geht das und wenn ja, warum nicht ?
Dazu wieder ein bisschen Historie:
Früher, als die Gummistiefel noch aus Leder waren, gab es fast nur einkanalige Gitarrenverstärker.
Es gab also keinen Clean + Zerr-Kanal, sondern einfach einen Lautstärkeregler für den gesamten Verstärker.
Das Ziel der Verstärker – Entwickler war es damals nicht, den Gitarrensound irgendwie schmutzig oder gar verzerrt klingen zu lassen. Damals war das Klangideal eher die cleane Gitarre. Für Country, Jazz und Swing ist das zum großen Teil auch heutzutage noch so.
Irgendwann kamen die bösen Buben mit ihren ekligen langen Haaren, schrien sinnloses Zeug in das Mikrofon und drehten die Lautstärkeregler ihrer Gitarrenverstärker voll auf. Je nach Modell fing die Gitarre dann an leicht, oder extrem zu zerren. GEIL ! (sagten zumindest die Langhaarigen)
Ihre geliebten Zerr-Sounds konnte sie aber nur hinbekommen, wenn sie an die Leistungsgrenzen des Gitarrenverstärkers gingen. Dem Verstärker wurde dann so viel Leistung abverlangt, dass er das Signal einfach nicht mehr sauber verarbeiten konnte und er fing an zu verzerren. Eine Überbelastung – sozusagen.
Soweit so gut.
Leistung , Raum , Lautstärke – das Problem :
Jeder Röhrenverstärker hat eine bestimmte Leistung. Bei Standard-Modellen reicht das z.B. vom Fender CHAMP, mit seinen etwa 5W, bis zum Marshall Major mit fast 200W. Für Bassgitarre werden oft noch größere Leistungen benötigt. Der AMPEG SVT liefert etwa 400W.
Aufgrund seiner geringen Leistung verzerrt ein 5W CHAMP recht schnell. So kann ich mit einem 5W CHAMP auch auf der Veranda bei einer kleinen Blues-Session mitspielen. Bei einer vertretbaren Lautstärke bekomme ich so einen schönen an- oder verzerrten Sound.
Versuche ich hingegen auf dieser Veranda meinen Plexi100 zum Anzerren zu bewegen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich entweder alleine auf der Veranda sitze, oder ohne Gitarre in einer netten Einzelzelle.
Die maximal erreichbare Leistung eines beliebigen, klassischen Röhren Gitarrenverstärkers schränkt also seine Einsatzmöglichkeiten recht stark ein.
Während ich mit dem 5W CHAMP in einer Rockband NIE einen cleanen Sound hinbekomme, kann ich mit dem PLEXI100 auf der Blues-Veranda NIE verzerrt mitspielen. Zumindest nicht wenn ich die Verzerrung nur mit dem Amp erzeugen will.
Zurück zum großen Traum :
Was wäre, wenn ich den PLEXI100 mit einem Dreh an einem Poti auf die Leistung eines 5W CHAMP reduzieren könnte ?
Könnte ich dann mit meinem gewohnten, an-gezerrten 100W Plexi Sound auf der Blues-Veranda mitspielen ?
Die Antwort ist : Ja!
Wie ?
Mit JTM45 Power Scaling !!
Power Scaling ist tatsächlich in der Lage, die LEISTUNG eines Röhrenverstärkers zu reduzieren. Dabei werden die eigentliche Kennlinie der Röhren praktisch nicht verschoben. Der Sound der verzerrten / überlasteten Röhren bleibt erhalten.
Mit Power Scaling kann ich z.B. den ÜBER JTM45 bis auf eine minimale Maximalleistung von 125mW reduzieren. Das ist eine geringere Leistung als die Eures Radioweckers.
Damit kann ich mit dem JTM45 wunderbar in der Rockband UND auf der Blues-Veranda spielen. Mit demselben SOUND !
Bevor Ihr jetzt ruft : „Der spinnt! Wenn das ginge, dann wäre doch Power Scaling überall eingebaut !“ will ich das noch etwas präzisieren.
Ich meine Sound, nicht Druck, oder GEIL, oder „Feeling“.
Stellt Euch vor Ihr sitzt in der Küche. Euer Küchenradio, mit seinem kleinen 5cm Lautsprecher, dudelt gerade „Sweet Child o´mine“ von Guns ´n Roses.
Der gute Slash fängt an, sein Solo zu spielen.
Was ihr jetzt hört ist der typische Slash Sound. Ihr könnt Euch dann sicher vorstellen wie es klingen würde und welchen Druck Ihr im Bauch spüren würdet, wenn ihr 2 Meter vor seinem Marshall Turm steht.
Es aber nicht das Gleiche. Der Druck fehlt und Eure Ohren hören anders als bei 120 Dezibel.
Trotzdem bleibt es dabei : Ihr hört den Slash Sound in der Küche und Ihr würdet auch Euren Rockband JTM45 Sound auf der Blues-Veranda hören….nur es wäre eben nicht das Gleiche. Dazu später mehr, jetzt geht es erst einmal in die Technik.
JTM45 Power Scaling Technik
Jetzt wird es wirklich technisch. Wenn Dich das nicht interessiert empfehle ich einfach zu „Fazit“ unten runter-zu-scrollen.
Los geht es :
Unser Ziel ist es ja, die Leistung des Gitarrenverstärkers zu reduzieren. Die Leistung eines Röhrenverstärkers wird durch diese Faktoren bestimmt :
- Anodenspannung der Endstufenröhren und Maximalstrom, den das Netzteil liefern kann
- Eigenschaften des Übertragers
- Anzahl und Art der Endstufenröhren
Wenn wir uns jetzt unseren JTM45 so ansehen dann sehen wir, dass wir nur auf eine dieser Größen wirklich Einfluss ausüben können. Die Anodenspannung. Der JTM45 arbeitet mit 2 Stück KT66 im Push Pull Prinzip in der Endstufe. Das ist nicht verhandelbar. Den Trafo wollen wir nicht auswechseln wenn wir auf die Blues-Veranda gehen. Genau so wenig wie den Übertrager. Also bleibt uns nur übrig die Anodenspannung zu verändern.
Die Gitterspannung UG2 und die BIAS Spannung legen den Arbeitspunkt der Röhre fest. Dieser Arbeitspunkt ist entscheidend für den Sound der Endstufe gerade dann, wenn sie überlastet wird und zu verzerren beginnt.
Bei richtigem Powerscaling werden deshalb diese beiden Spannungen mit der Anodenspannung mit verändert. Bei einigen Abkürzungslösungen (wie z.B. dem „VVR“) wird nur die Gitterspannung verringert, um die Leistung zu reduzieren. Obwohl dadurch auch die Leistung der Endstufe reduziert wird, wird der komplette Arbeitspunkt der Röhre verändert / verschoben. Bei kleineren Leistungen haben wir es dann mit einer klanglich völlig anderen Endstufe zu tun. Ich halte solche Lösungen für Blödsinn und baue sie deshalb nicht ein.
Langsam kommen wir der Sache nun näher. Hier seht Ihr die beiden Poti Knöpfe die das JTM45 Power Scaling regulieren:
Mit dem „Power“ Knopf reguliere ich die Anodenspannung der Endstufenröhren + die Gitterspannung + die Bias-Spannung.
Hier ein Beispiel :
Ist das „Power“ Poti voll AUF, dann herrschen an den KT66 der Endstufe folgende Werte :
Anodenspannung : 430V
Gitterspannung : 430V
BIAS Spannung : -49V
Mit diesen Werten bringt der JTM45 eine Clean Leistung von etwa 24W.
Drehe ich das „Power“ Poti voll ZU, dann ergeben sich folgende Werte:
Anodenspannung : 13V
Gitterspannung : 13V
BIAS Spannung : -0,6V
Mit diesen Werten bringt der JTM45 eine Clean Leistung von 125mW (0,125W).
Das „Limit“ Poti
Um das zu verstehen, müssen wir uns kurz mit dem Schema des JTM45 befassen. Im Grunde ist der JTM45 ein glatte Kopie des Bassman von FENDER, mit etwas anderer Röhrenbestückung.
Hier ist das grobe Schema :
Das Gitarrensignal wird von der ersten Röhrentriode verstärkt. Dann geht es auf das Volumepoti des JTM45. Dann wird das Signal nochmals verstärkt und in den EQ (Bass,Middle,Treble) geschickt.
Danach geht es auf den Phasendreher, den sogenannten „PI“ und dann auf die beiden Endstufenröhren.
Zwischen den EQ und dem PI sitzt unser „Limit“ Poti.
Zurück zur Rock-Band. Dort stecke ich das Gitarrenkabel in den JTM45 und drehe das Volumepoti des Amps soweit auf bis es klingt. Eventuell drehe ich noch am EQ ein bisschen rum. Das heißt, die Stellung des Volumepoti und die EQ Stellung ist wichtig für den Sound den ich auch auf der Blues Veranda haben will.
Je weiter ich vorn das Volumepoti aufdrehe, desto mehr fängt die Endstufe an zu verzerren. Einfach deshalb, weil die Endstufe nicht mehr die nötige Leistung unverzerrt liefern kann. Dann ist es aber auch schon entsprechend laut.
Wenn ich nun das Limit Poti vor dem PI nicht hätte und ich würde auf der Blues-Veranda das „Power“ Poti zurück drehen, würde das volle Signal auf meine, dann in der Leistung reduzierte, Endstufe knallen. Das ist in etwa so, als würdet Ihr die Zylinder eines VW Polo mit dem Vergaser eines Porsche versorgen und Vollgas geben.
Die Polo-Zylinder saufen hoffnungslos ab.
Mit dem „Limit“ Poti können wir der (in ihrer Leistung) reduzierten Endstufe genau den Pegel an Vorstufensignal geben den sie braucht, um mit dieser reduzierten Leistung den gewünschten Rock-Band Sound zu erzeugen. Also genau den Signalpegel bei dem sie die Leistung nicht mehr verzerrungsfrei erbringen kann.
Die Sache ist nicht ganz linear. Je geringer die Endstufenleistung wird, umso weniger Vorstufensignal verkraftet sie bevor sie in Verzerrung absäuft.
Hier seht Ihr die Einstellungen die mir mein Ohr und der Oszillograph für den ÜBER-JTM45 mitgeteilt haben:
Mit diesen Einstellungen komme ich extrem nah an den Rockband Sound bei allen denkbaren Lautstärken (Leistungen).
Der Einbau des Limit Poti eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten, diesen Amp zu nutzen. So kann ich z.B. die Leistung reduzieren, aber das Limit Poti voll AUF drehen. Die Endstufe säuft dann wirklich ab und aus dem JTM45 wird eine Fuzz-Box.
Einige Experten werden sich jetzt fragen : „Warum nimmt der denn kein PPIMV als Limit Poti?“
Ein PPIMV ist ein „post phase inverter (PI) master volume“. Im Schema oben käme das dann nach dem PI.
Tatsächlich hätte das den Vorteil, dass ich auch noch den Soundanteil einen in der Rock Band hart angefahrenen PI mit auf die Blues-Veranda retten könnte. Die Begrenzung im Signal käme ja dann nach (post) dem PI und er würde bei z.B. Volume voll AUF schon etwas mit zerren.
Das habe ich aus zwei Gründen nicht so gemacht :
- Ich denke der Sound des verzerrten PI wird vom Sound der verzerrten Endstufe im Normalbetrieb des JTM45 klar überlagert. Das heißt, die Endstufe zerrt lange vor dem PI.
- Ein PPIMV nimmt mir das „Presence“ Poti aus dem Feedback Loop der Schaltung. Das Presence Poti verliert dann bei reduzierter Endstufenleistung seine Wirkung. Diese geht schnell gegen Null. Die Presence Anhebung ist aber für den Gesamtsound des JTM45 sehr wichtig. Die will ich auf der Blues-Veranda nicht verlieren.
Übrigens ist das generell ein großer Nachteil des PPIMV. Es ruiniert mir den Feedback Loop um die Endstufe herum. Das Presence Poti wird dann schnell wirkungslos und der Amp klingt etwas muffig.
Das PPIMV hat nichts mit Leistungsreduzierung zu tun. Es begrenzt lediglich den Signalpegel vor der Endstufe nach dem PI. Das Ziel des PPIMV ist es ja auch, dem Amp bei kleineren Lautstärken etwas Verzerrung zu entlocken. Das funktioniert aber anders. Der PPIMV wird ZU gedreht und das Amp Volume vorn AUF. Damit verzerren, mit etwas Glück, die Vorstufenröhren und der PI. Die Endstufe gibt dann noch soviel Leistung an die Speaker ab, wie es ihr mit dem durch das PPIMV reduzierten Pegel noch möglich ist. Dabei zerrt sie nicht selbst mit, sondern bleibt eher clean.
Mit dem PPIMV bauen wir sozusagen ein Röhren-Distortion-Pedal in den Amp ein und verstärken das erzeugte, verzerrte Signal nur noch mit der unterforderten Endstufe. Mit Power Scaling hat das nix zu tun und der Sound unterscheidet sich doch sehr von der „Amp-Zerre“.
Fazit JTM45 Power Scaling
Die Sache funktioniert. Sie funktioniert 1A. Es ist ohne weiteres möglich, die Lautstärke eines JTM45 z.B. auf die eines 18W zu reduzieren und den JTM45 Sound zu behalten. Kein Problem.
Darunter funktioniert es auch und der berühmte „bedroom level“ ist durchaus machbar. Wer sich allerdings mit einem JTM45 ins Schlafzimmer setzt und übt…..ich weiß nicht.
Was bei sehr kleinen Lautstärken nicht erhalten bleibt ist der Geilo-Faktor. Dafür verantwortlich sind zwei Faktoren:
- Unser Gehör funktioniert bei geringen Lautstärken anders. Warum, glaubt Ihr, gibt es an der HiFi-Anlage eine „Loundess“ Taste ? Wer sicher näher dafür interessiert der sollte nach „Fletcher-Munson Kurve“ googeln.
- Ein Gitarrenlautsprecher ist im Grunde ein Stück dünner Pappe mit einem Antriebsmagneten daran. Wenn Ihr schon einmal einem Lautsprecher bei hohen Lautstärken zugesehen habt (hoffentlich mit Gehörschutz) dann wisst Ihr was da für Bewegung drin ist. Das bleibt nicht ohne Folgen. Bei solch hohen Auslenkungen verzerren die Lautsprecher selbst beträchtlich und tragen somit zum Gesamtsound bei. Wenn der JTM45 aber auf den „bedroom level“ reduziert worden ist, dann bewegt sich der Lautsprecher praktisch überhaupt nicht mehr. Er klingt dann eben auch entsprechend anders.
Auf der Blues-Veranda würde ich dann lieber einen Lautsprecher mit geringerer Leistung an meinen in der Power reduzierten JTM45 hängen. Einfach damit sich der Speaker etwas mehr bewegt.
Meine persönliche Lösung für die Rock Band und die Blues Veranda Situation war schon immer…und wird es wohl auch bleiben:
Mehrere Amps. Kleine und große. Fertig.
Alles andere mit Pedalen.
Trotzdem. Abschließend. Power Scaling funktioniert und es ist eine Lösung. Wenn auch eine sehr aufwendige…..
Danke für das Lesen bis hierhin und bis zum nächsten Mal!
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