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JTM45 Power Scaling

Heute geht es in die Tiefe. Es wird technisch und an ein paar Stellen sehr detailliert. Wer nur das Fazit lesen will, kann gern nach unten scrollen.

Worum geht’s bei Power Scaling?

Power Scaling ist die Suche nach einem alten Traum: den Lieblingsamp überall spielen – bei jeder Lautstärke, ohne den Charakter zu verlieren. Der Amp soll im Proberaum, auf der Bühne und zuhause gleich vertraut klingen. Geht das?

Ein kurzer Blick zurück

Früher waren Gitarrenverstärker meist einkanalig. Es gab keinen separaten Clean- und Zerrkanal, sondern einen Lautstärkeregler für den ganzen Amp. Das Ziel der Entwickler war ein sauberer Ton. Verzerrung war kein Selbstzweck – Country, Jazz und Swing setzen auch heute noch oft auf Clean.

Altes Magazin-Cover zu Röhrenverstärkern
Als Verstärker noch als reine „HiFi“-Werkzeuge gedacht waren.

Irgendwann wurde aufgedreht. Endstufen wurden an ihre Grenzen gefahren und begannen zu zerren. Viele fanden genau das gut. Der Haken: Der gewünschte Zerrsound entstand oft erst bei hohen Lautstärken.

Leistung, Raum, Lautstärke – das Problem

Jeder Amp hat eine maximale Leistung. Ein kleiner CHAMP liefert etwa 5 Watt. Ein Plexi100 liegt um 100 Watt, ein Marshall Major bei fast 200 Watt. Bassamps wie der Ampeg SVT gehen noch deutlich darüber.

Fender Champ Combo
CHAMP – ca. 5 W Maximalleistung.
Marshall Plexi 100 Topteil
PLEXI100 – um 100 W Maximalleistung.

Mit einem 5 W-Combo lässt sich auf der Veranda ein schön angezerrter Ton bei moderater Lautstärke spielen. Einen 100 W-Plexi in denselben Bereich zu bringen, ist sozial schwierig – oder führt zuverlässig zu leerer Veranda.

Die maximale Leistung bestimmt den Einsatzbereich stark. Mit dem 5 W-Amp wird es in der Rockband selten richtig clean. Mit 100 W wird’s auf kleiner Bühne schwierig, Endstufensättigung zu hören – wenn man den Zerranteil aus der Endstufe holen will.

Die Idee liegt auf der Hand: Wenn ich den 100 W-Amp auf Knopfdruck auf „5 W“ trimmen könnte – hätte ich dann denselben Ton wie im Proberaum, nur leiser? Kurz gesagt: ja, vom Charakter her. Druck und physisches Gefühl sind eine andere Sache.

Wie funktioniert das?

Mit Power Scaling. Damit lässt sich die Leistung der Endstufe reduzieren, ohne die Kennlinie der Röhren zu verbiegen. Der Zerrcharakter der Endstufe bleibt erhalten. Beim ÜBER JTM45 kann ich die Maximalleistung bis auf etwa 125 mW herunterregeln – weniger als ein Radiowecker.

Wichtig: Wenn wir von „gleichem Sound“ sprechen, meinen wir den Toncharakter, nicht denselben Bauchdruck bei 120 dB. Ein Küchenradio kann den Slash-Sound wiedergeben – nur ohne die Luftbewegung eines 4×12-Stacks. Genau so verhält es sich hier.

Technik: Was wird geregelt?

Die abgegebene Leistung hängt im Wesentlichen von drei Punkten ab:

  • Anodenspannung und maximal lieferbarer Strom des Netzteils,
  • Eigenschaften des Ausgangsübertragers,
  • Anzahl und Typ der Endröhren.

Im JTM45 (zwei KT66 im Push-Pull) ändern wir für das Power Scaling die Anodenspannung. Gleichzeitig werden Schirmgitterspannung (UG2) und Bias mitgeführt. Nur so bleibt der Arbeitspunkt stimmig. Lösungen, die nur an der Schirmgitterspannung drehen (z. B. VVR), verschieben den Arbeitspunkt stark – das klingt bei kleinen Leistungen wie ein anderer Amp. Das baue ich nicht ein.

Vereinfachtes Röhrendiagramm
Vereinfacht: Anode, Gitter, Schirmgitter und Bias bestimmen den Arbeitspunkt.

Die Regler: Power und Limit

JTM45 Power Scaling – Potis
Die beiden Potis für das Power Scaling am JTM45.

Power: regelt die Anodenspannung der Endröhren – und führt Schirmgitter- und Bias-Spannung mit. Beispiele:

Power voll auf: Ua ≈ 430 V, Ug2 ≈ 430 V, Bias ≈ −49 V → ca. 24 W clean.

Power voll zu: Ua ≈ 13 V, Ug2 ≈ 13 V, Bias ≈ −0,6 V → ca. 125 mW clean.

Was macht das Limit-Poti?

Im JTM45 sitzt das Limit-Poti zwischen EQ (Bass/Middle/Treble) und Phasendreher (PI). Es begrenzt den Pegel, der in die Endstufe geht. Drehe ich vorne das Volume für den „Band-Sound“ weit auf, reduziere ich bei kleinerer Endstufenleistung mit Limit den Vorstufenpegel auf das, was die Endstufe bei der gewählten Leistung „gerade so“ sauber kann. So bleibt der Zerrpunkt relativ gleich – unabhängig von der Gesamtleistung.

JTM45 – stark vereinfachtes Blockschema
Vereinfachter Signalweg im JTM45. Das Limit-Poti sitzt zwischen EQ und PI.

Ohne Limit-Poti würde das volle Vorstufensignal in eine künstlich „kleine“ Endstufe laufen – das säuft ab. Mit Limit dosieren wir den Pegel passend zur eingestellten Leistung. Je weiter die Leistung sinkt, desto empfindlicher reagiert die Endstufe auf zu viel Eingangssignal.

Beispiel-Einstellungen für Power und Limit
Beispiel-Einstellungen, mit denen ich dem „Band-Sound“ über viele Lautstärken sehr nahe komme.

Das eröffnet auch andere Klänge: Leistung reduzieren und Limit weit aufdrehen – die Endstufe clippt hart, der JTM45 wird zur Fuzz-Box.

Warum kein PPIMV als „Limit“?

Ein PPIMV sitzt nach dem Phasendreher und begrenzt dort den Pegel in die Endstufe. Das könnte den Anteil eines hart gefahrenen PI erhalten. Ich lasse es trotzdem:

  1. Im JTM45 zerrt die Endstufe deutlich vor dem PI. Dessen Zerranteil geht im Gesamtsound unter.
  2. PPIMV greift in den Feedback-Loop ein. Das Presence-Poti verliert bei kleiner Leistung schnell seine Wirkung. Für mich klanglich zu wichtig, um es „stillzulegen“.

Außerdem hat PPIMV nichts mit echter Leistungsreduzierung zu tun. Es ist eher ein Weg, Vorstufen- und PI-Zerre leiser zu fahren, während die Endstufe relativ clean bleibt. Ein anderer Ansatz – klanglich nicht dasselbe wie Endstufensättigung.

Fazit

Power Scaling funktioniert. Ein JTM45 lässt sich auf die Lautstärke eines 18-Watt-Amps bringen, ohne seinen Charakter zu verlieren. Auch „Bedroom Level“ ist machbar – ob das sinnvoll ist, muss jeder selbst entscheiden.

Was bei sehr kleinen Lautstärken fehlt, ist der „Druck“. Zwei Gründe:

  1. Unser Gehör arbeitet bei niedrigen Pegeln anders (Stichwort Fletcher–Munson).
  2. Lautsprecher tragen bei großen Auslenkungen selbst zur Verzerrung bei. Bei Mini-Leistungen bewegen sie sich kaum – das klingt anders.

Praxis: Für sehr leise Situationen wähle ich gern einen Lautsprecher mit geringerer Belastbarkeit, damit er sich bei kleiner Leistung überhaupt bewegt.

Meine persönliche Lösung bleibt trotzdem simpel: Mehrere Amps – kleine und große. Den Rest erledigen Pedale.